Albulabahn Thusis-St. Moritz (StN) |
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Geschrieben von joschma
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Samstag, 28. Juli 2007 |
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Geschichte
Bis 1890 war der Südosten der Schweiz von Eisenbahnen äusserst schlecht erschlossen. Den Transitverkehr
zog die Gotthardbahn an sich, so dass der Bau von Eisenbahnen in
Graubünden wirtschaftlich nicht lohnend erschien. Erst der Erfolg der Landquart-Davos-Bahn (LD) brachte die Wende. 1895 änderte die LD ihren Namen in Rhätische Bahn
(RhB), und zwei Jahre später entschied das Bündner Volk bei einem
Urnengang, die RhB zur Staatsbahn zu machen. Dies schuf die
Voraussetzungen für den schnellen Bau weiterer Strecken, die grosse
Teile des Kantons erschliessen sollten. 1896 gab es in Graubünden nur
20 km Normalspur-
und 90 km Schmalspurbahnen. (Die Länge der Normalspurstrecken ist
übrigens bis heute unverändert geblieben, sieht man vom Neubau eines
Werksgleises von Chur nach Domat/Ems ab.) Priorität besass ein
Anschluss des Kurortes St. Moritz, der zu jener Zeit mit der Postkutsche vierzehn Stunden von der Kantonshauptstadt Chur, dem Endpunkt der Normalspurbahn, entfernt war.
Nachdem Thusis von Chur aus erreicht war, begann man 1898 mit dem Bau der Albulabahn. Die Ausführung der Strecke als reine Adhäsionsbahn
erforderte eine Vielzahl von Kunstbauten. Dabei wurden die Viadukte
ausschliesslich in Massivbauweise errichtet. Als besonders
problematisch erwies sich die Steigung des Tals zwischen Bergün und
Preda, wo auf 5 km Luftlinie über 400 m Höhendifferenz zu überwinden
sind. Um die Maximalsteigung von 35 Promille einzuhalten, ersann der
Bauleiter Friedrich Hennings
eine verschlungene Linienführung, die das Trassee auf 12 km
verlängerte. Zwei Wende- und drei Spiraltunnel sowie eine Anzahl
Brücken bewältigten diese Aufgabe, indem sie die Strecke wie eine
Schraube in die Höhe drehten. Besonders der Bau des 660 m langen
Rugnux-Spiraltunnels bereitete auf diesem Streckenabschnitt Probleme,
denn 4° C kaltes Bergwasser erschwerte die Tätigkeit der Arbeiter.
Hinter Preda entstand das Herzstück der Strecke, der 5866 m lange Albulatunnel, der die Wasserscheide zwischen Rhein und Donau einige Kilometer westlich des Albulapasses unterquert. Mit einer Kulmination von 1820 m ü. M. ist er nach dem Furka-Scheiteltunnel der zweithöchste Alpendurchstich der Schweiz. Die grösste Gebirgsüberlagerung des Bauwerkes beträgt 950 m.
Die Erstellung des Tunnels bereitete aussergewöhnliche Probleme. Die
6° C kalten Wasserzuflüsse verwandelten das bereits herausgebrochene
Gestein in eine breiige Masse, die den Rohbau des nördlichen Richtstollens auf weite Strecken regelrecht verstopfte. Gleichzeitig versiegte eine starke Quelle oberhalb des nördlichen Tunnelportals. Das mit 300 Liter pro Sekunde einströmende Wasser musste mühsam mit Rohrleitungen
abgeleitet werden. Dadurch kam der Bau praktisch zum Erliegen: ab Mai
1900 schaffte man in zehn Wochen nur zwei Meter Vortrieb. Diesen
Schwierigkeiten war das ausführende Bauunternehmen Ronchi &
Carlotti nicht gewachsen und ging in Konkurs. Die Rhätische Bahn nahm darauf hin ab 1. April 1901 die Bauarbeiten selbst in die Hand. Mit einem Prämiensystem konnte ein Teil der verlorenen Zeit wieder aufgeholt werden. Am 29. Mai 1902, um 3 Uhr 30, erfolgte der Durchschlag der beiden Richtstollen mitten im Berg, 3030,5 m vom Nordportal und 2835 m vom Südportal entfernt.
Beim Bau des Albula-Tunnels waren insgesamt 1316 Personen beschäftigt. Insgesamt gab es 16 tödliche Arbeitsunfälle. Am Bahnhof von Preda erinnert ein Gedenkstein an diese Opfer. Die Kosten für den Tunnel beliefen sich auf 7'828'000 Franken.
Am 1. Juli 1903 konnte die Eröffnung des Abschnitts von Thusis nach
Celerina gefeiert werden. Weil sich die RhB und die Gemeinde St. Moritz
noch über den Standort des dortigen Bahnhofs einigen mussten,
verzögerte sich die Einweihung des knapp 3 km langen Reststücks bis zum
10. Juli 1904. Der Mangel an Kohle während des Ersten Weltkrieges veranlasste die RhB, die Elektrifizierung
in Angriff zu nehmen. Am 20. April 1919 wurde mit dem Abschnitt
Bever–Filisur das erste Teilstück der Strecke mit der auf der
Engadinerlinie bewährten Wechselspannung von 11 kV 16 2/3 Hz elektrifiziert. Am 15. Oktober folgte die Fortsetzung bis Thusis.
Seit 1930 benutzt der Glacier-Express die Trasse der Albulabahn, der Bernina-Express kam nach dem Zweiten Weltkrieg hinzu. Beide Züge begründeten als Aushängeschild der Rhätischen Bahn den legendären Ruf der Bahngesellschaft bei den Eisenbahnfreunden in aller Welt.
Seitdem im Jahre 1969 die Linie mit Streckenblock ausgerüstet wurde, kann der Zugbetrieb auf den meisten Stationen fernüberwacht werden. 2005 übernahm das Rail Control Center Landquart die Aufgaben des Fernsteuerzentrums Filisur.
Das Unterwerk Bever wurde 1973 modernisiert. Die sukzessive erweiterten
Ausweichgleise der Stationen weisen heute sämtlich Längen über 260 m
auf, was einem Schnellzug mit 13 Wagen entspricht. Seit Ende der 1990er
Jahre erstellte die RhB drei kurze Doppelspurabschnitte
– bei Thusis, bei Filisur und unterhalb von Preda – um die stündlichen
Zugkreuzungen flüssiger abwickeln zu können. Die übrige Strecke ist
nach wie vor eingleisig trassiert und immer noch weitestgehend im
Zustand von 1904.
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